[Rezension] Bailey Seybolt – Coram House

„Vermont, 1968: An einem glühend heißen Sommertag verschwindet der neunjährige Tommy spurlos aus Coram House, einem Waisenhaus am Lake Champlain. Auch fünfzig Jahre später ist sein Verschwinden immer noch ungeklärt.

Für Alex Kelley, eine angeschlagene True-Crime-Autorin, scheint der Auftrag, über das Waisenhaus zu schreiben, die perfekte Gelegenheit, sich aus ihrer beruflichen Krise zu befreien. Im winterlichen Vermont taucht sie tief ein in die Transkripte und Originaldokumente aus dieser Zeit. Schnell wird ihr klar, dass sie einen brisanten Fall vor sich hat: Was ist wirklich mit dem kleinen Tommy geschehen?

Bereits wenig später taucht eine weitere Leiche auf und Alex beginnt zu begreifen, dass sie das nächste Opfer sein könnte …“

Autorin: Bailey Seybolt
Titel: Coram House
Übersetzung: Susanne Goga-Klinkenberg
Genre: Thriller
Seitenzahl: 384
Erscheinungsdatum: 11. September 2025
Verlag: dtv
Preis: 17,00€ (Paperback); 12,99€ (E-Book)

Meine Meinung: 

Das Leben im Waisenhaus Coram House war für keines der Kinder schön. Harte Strafen und Erniedrigung standen an der Tagesordnung. Doch dann verschwand eines Tages der 9-jährige Tommy spurlos aus dem Waisenhaus. Auch heute ist sein Schicksal noch ungeklärt und genau hier sieht die True-Crime-Autorin Alex Kelley ihre Chance, beruflich wieder Fuß zu fassen und daraus ein Buch zu machen. Alex beginnt sich durch die alten Aufzeichnungen und Dokumente zu wühlen, doch je tiefer sie gräbt, desto mehr nimmt der Fall eine düsterere Wendung. Die Leiche einer Frau wird im See gefunden, und Alex beginnt zu ahnen, dass sie jemandem zu nahekommt…

Unsere Protagonistin Alex sieht ihr Leben gerade in Trümmern liegen. Beruflich musste sie durch ihr letztes Buch einen herben Rückschlag verbuchen und auch ihr Privatleben liegt in Scherben durch den Verlust ihres Mannes. Ihr Antrieb, sich dem Fall um Coram House zu widmen, entspringt einer Mischung aus beruflichem Neuanfang und persönlicher Flucht, wobei ehrlicherweise die Flucht überwiegt. Ich fand Alex als Person gut eingefangen, auch wenn sie manchmal etwas überzogen auf Dinge reagierte.

Der Roman lebt neben der Kulisse vor allem auch von seiner doppelten Zeitebene. Die Gegenwart, in der Alex recherchiert, und die vergangenen Ereignisse im Waisenhaus dokumentiert durch alte Interviews und Transkripte. Diese Mischung aus True-Crime-Journalismus, Recherche und Problemen in der gegenwärtigen Zeit sorgt für einen fesselnden Wechsel zwischen den Perspektiven und trägt maßgeblich zur Atmosphäre bei. Der Einsatz von Dokumenten und Befragungen gibt dem Erzählfluss Authentizität und strukturelle Spannung.

Besonders hervorheben möchte ich den Schauplatz. Das verschneite Vermont mit dem Lake Champlain ist unglaublich atmosphärisch eingefangen. Man spürt beim Lesen förmlich die klirrende Kälte, die stille Winterlandschaft und die Trostlosigkeit. Diese Kulisse verstärkt die bedrückende Stimmung des Romans enorm. Zugleich fand ich die Einbettung des Kriminalfalls in die Situation vieler Waisenhäuser sehr gelungen. Seybolt thematisiert nicht nur die Armut und Freudlosigkeit der damaligen Heime, sondern auch den Missbrauch und die Misshandlungen, die später zu juristischen Auseinandersetzungen führten. Im Nachwort weist die Autorin zudem darauf hin, dass der Roman zwar rein fiktional ist, sich aber von der Geschichte eines tatsächlich existierenden Waisenhauses in Vermont inspirieren ließ – einer Institution, durch die über ein Jahrhundert hinweg unzählige Kinder gingen, viele von ihnen misshandelt, missbraucht und zum Schweigen gebracht. Coram House steht damit stellvertretend für ein düsteres Kapitel, das nicht nur ein Einzelfall war, sondern traurige Realität in vielen Waisenhäusern.

Insgesamt ist „Coram House“ ein atmosphärisch dichter, eher langsamer Thriller, der mit dokumentarischem Stil, psychologischer Tiefe und eisiger Kulisse überzeugt. Das Tempo ist bedächtig, aber gerade das macht den Reiz aus, da es zur Atmosphäre beisteuert. Wer düstere Geheimnisse, durchdachte Storys und psychologisch gezeichnete Figuren mag, findet hier ein echt gutes Buch. Ich würde künftig sehr gerne mehr von Bailey Seybolt lesen!

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